Diversität

Das Selbstbestimmungsgesetz: Ein Worst-Of | Queer Lexikon

Von Xenia, die nicht nur dieses Blog leitet, sondern sich nach dem Eis nochmal genauer angeschaut hat, was da jetzt Sache ist.

Das Selbstbestimmungsgesetz kommt. Nächster Halt: am 17.05. im Bundesrat. Wir haben uns das neue SBGG nochmal angeschaut und aufgeschrieben, was uns am meisten stört. [Buzzfeed-Stimme] Punkt 4 hat uns enttäuscht, Punkte 1, 2, 3, 5 und 10 werden bestimmt bald weggeklagt.

An dieser Stelle haben wir uns schon das ein oder andere Mal mit dem Selbstbestimmungsgesetz befasst. Das letzte Mal direkt zur Verabschiedung im Bundestag, wo wir einen allgemeineren Überblick über die neuen Regelungen gegeben haben.

Eine ausführlicherere Auseinandersetzung findet sich beim Verfassungsblog, für alle, die tiefer einsteigen wollen.

1. 3-Monate-Anmeldefrist. Vorgeblich „Übereilungsschutz“

Und das klingt so:

Die Änderungs des Geschlechtseintrags und der Vornamen ist von der erklärenden Person drei Monate vor der Erklärung nach § 2 mündlich oder schriftlich bei dem Standesamt anzumelden, bei dem die Erklärung abgegeben werden soll.

Außer Belgien macht das quasi kein Staat und keinem Staat fehlt es. Das ist bürokratisch, belastet Ämter und Antragsstellende und sorgt dafür, dass Personenstandsregister wissentlich eine Zeit lang falsch sind, wenn nur Menschen anmelden, die sich bereits sicher sind. Wenn dagegen die Anmeldung häufig genutzt wird und Leute sich das dann erst in den drei Monaten überlegen, laufen eine Menge komplett unnötiger Anträge auf. Beides erscheint nicht gerade zielführend.

2. Rückabwicklung im Kriegsfall

und das klingt so:

Die rechtliche Zuordnung einer Person zum männlichen Geschlecht bleibt, soweit es den Dienst mit der Waffe auf Grundlage des Artikels 12a des Grundgesetzes und hierauf beruhender Gesetze betrifft, für die Dauer des Spannungs- oder Verteidigungsfalls nach Artikel 80a des Grundgesetzes bestehen, wenn in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang mit diesem die Änderung des Geschlechtseintrags von „männlich“ zu „weiblich“ oder „divers“ oder die Streichung der Angabe zum Geschlecht erklärt wird. Unmittelbar ist der zeitliche Zusammenhang während eines Spannungs- oder Verteidigungsfalls sowie ab einem Zeitpunkt von zwei Monaten vor Feststellung desselben.

Wenn der alte Geschlechtseintrag männlich war und es innert zwei Monaten zu einem Verteidigungsfall kommt, können Anträge dadurch ungültig werden. Das wirkt insgesamt nicht so durchdacht, wenn mehrere Änderungen möglich sind, und es insgesamt 4 Geschlechtseinträge gibt. Zumal Menschen aus Gewissensgründen ohnehin jederzeit Kriegsdienst verweigern können.

Warum tut man sowas in ein Gesetz? Weil eigentlich dieser Staat Männer zum Kriegsdienst verpflichten kann, und stell dir vor, es ist Krieg und niemand ist Mann oder so. Then again: Trans Frauen sind Frauen und hier werden Frauen also um Rechte erleichtert, weil Männer Dinge tun könnten. Halten wir für irgendwie bisschen wonky und sind auch nicht so ganz sicher, ob und wie sehr das irgendwie mit der Verfassung kompatibel ist.

3. Rückabwicklung bei Aufenthaltsgenehmigung

und das klingt so:

Gibt ein Ausländer die Erklärung nach Absatz 1 in dem Zeitraum von zwei Monaten vor dem Eintritt eines Ereignisses, das zum Erlöschen des Aufenthaltstitels nach § 51 Absatz 1 des Aufenthalts­gesetzes und zur Ausreisepflicht nach § 50 Absatz 1 des Aufenthalts­gesetzes führt, bis zu dem Zeitpunkt des Erlöschens des Aufenthalts­titels nach § 51 Absatz 1 des Aufenthaltsgesetzes ab, so bleiben die bisherige Geschlechtsangabe und die bisherigen Vornamen bestehen.

Hier werden Menschenrechte davon abhängig gemacht, dass überarbeitete Ämter rechtzeitig andere Dinge verlängern, die nichts miteinander zu tun haben. Riecht nach Schikane. Die Formulierung ist zudem nicht analog zum letzten Punkt. Aus dem Wortlaut geht auch nicht hervor, was passiert, wenn zu dem Zeitpunkt, an dem die Erklärung abgegeben wurde, noch nicht feststand, dass die Aufenthalts­erlaubnis innerhalb dieser 2 Monate erlöschen würde.

Für den Versuch, die Abschiebung von Personen darüber zu ermöglichen, der auch in der Gesetzesbegründung anklang, bleibt nur festzustellen, dass nicht die Annahme eines Antrags zur Änderung des Personenstands eine Person trans macht – sondern das Trans-Sein der Person selbst. Und wenn einer Person aufgrund von Trans-Sein in dem Staat, in den sie verbracht werden soll, Verfolgung droht, droht diese, unabhängig davon, ob die bisherigen Daten im Personenstands­register bestehen bleiben oder nicht. Das Personenstandsregister bildet nicht ab, ob Personen trans sind. Das Personenstandsregister ist und bleibt ein dienendes Register, das bedeutet: Dinge werden nicht so, weil sie so im Personenstandsregister stehen. Sondern der Staat schreibt Dinge, die so sind, ins Personenstandsregister.
Wir halten diese ganze Konstruktion für ziemlichen Mist und potenziell verfassungswidrig. Uff.

4. Kein Recht auf Beratung

Unternehmen, Eltern, trans Personen, Lehrpersonal, …: es gibt super viele Personen und Gruppen, die Beratung zur Rechtslage, zum Umgang und zu für sie spezifischen Fragen brauchen. Hier verlässt sich der Staat drauf, dass das schon irgendwer (ehrenamtlich, unterfinanziert, überarbeitet und ohne einheitliche Anforderungen an Qualität oder Qualifiaktion) anbieten wird. Und das ist schon ein bisschen mehr als gar nicht mistig. Eigentlich sogar sehr.

5. Reine Namensänderung nicht möglich ohne neuen Geschlechtseintrag

Erklärungen nach SBGG müssen den gewünschten Geschlechtseintrag enhtalten und können neue Vornamen angeben. Es handelt sich explizit um eine Erklärung, dass der Eintrag geändert werden soll. Eine Änderung von weiblich zu weiblich ist keine Änderung. Dadurch entfällt die Möglichkeit, lediglich den Vornamen zu ändern. Eine solche gab es im TSG und bei § 45b. Speziell nicht-binäre Personen haben das Nachsehen hier. Auch “über Bande” mit Änderung von Eintrag und Vornamen und ein Jahr später die zurück-Änderung des Geschlechts hilft hier nicht, weil bei einer Rückänderung mit SBGG alte Namen automatisch wieder aufgegriffen werden.
Und das alles wofür? Anscheinend dafür, dass Leute nicht einfach so ihren Vornamen ändern können, denn wo kämen wir denn da hin? Zum Status Quo in den USA, Kanada, dem vereinigten Königreich und zahlreichen weiteren Staaten. Das ist also auch eher so ein alberner Regelungs- und Gängelungstrip, der eigentlich hätte nicht sein müssen.

6. Binäre Quotenregelungen

Das Personenstandsgesetz kennt 4 Geschlechtseinträge. Die Regelungen zu Geschlechter-Quoten im SBGG nur 2:

(1) Wenn für die Besetzung von Gremien oder Organen durch Gesetz eine Mindestanzahl oder ein Mindestanteil an Mitgliedern weiblichen und männlichen Geschlechts vorgesehen ist, so ist das im Personenstandsregister eingetragene Geschlecht der Mitglieder zum Zeitpunkt der Besetzung maßgeblich.

(2) Eine nach der Besetzung erfolgte Änderung des Geschlechtseintrags eines Mitglieds im Personenstandsregister ist bei der nächsten Besetzung eines Mitglieds zu berücksichtigen. Reicht dabei die Anzahl der neu zu besetzenden Sitze nicht aus, um die gesetzlich vorgesehene Mindestanzahl oder den gesetzlich vorgesehenen Mindestanteil an Mitgliedern zu erreichen, so sind diese Sitze nur mit Personen des unterrepräsentierten Geschlechts zu besetzen, um dessen Anteil sukzessive zu steigern.

(3) Die Absätze 1 und 2 gelten sind nur anzuwenden, wenn nichts anderes geregelt ist.

Diese Sätze bekommen schon Sinnkrisen, wenn eine Person ihren Geschlechtseintrag streichen lässt. Erfüllt ein vierköpfiges Gremium mit 2 Personen mit divers-Eintrag und einer Person ohne Eintrag und einer Person mit männlich im Personenstandsregister denn eine Quote, die besagt, dass mindestens die Hälfte aus Frauen bestehen muss? Dass die Hälfte aus Männern bestehen muss? Dass mindestens die Hälfte nicht-männlich sein muss? Ist das immer noch erfüllt, wenn eine der Personen im Gremium ihren Eintrag ändert? Halt, stopp, hierbleiben, nein, keine Exceltabelle dafür starten. Ich will nur sagen, da raucht der Kopf potenziell und das müsste nicht so sein. Aber wieso das da steht weiß auch nur Marco Buschmann allein.

7. Keine Regelungen, woran sich die Familiengerichte und Pflichtberatungen im Konfliktfall orientieren sollen

Die große Errungenschaft am SBGG ist, dass wir endlich wegkommen von schlecht definierten Attesten und willkürlichen Gutachten. Das SBGG verlangt nun von Minderjährigen einen Nachweis über eine Beratung, deren Inhalte nicht näher spezifiziert werden. Im Streitfall zwischen Eltern und Kindern soll das Familiengericht hinzugezogen werden. Auch hier gibt es keine Anhaltspunkte, worauf das Verfahren abzielt oder wie das zu ermitteln wäre. Es droht, dass bei Minderjährigen dieselbe alte Willkür wieder Einzug hält.

8. Fehlende strafrechtliche Klarstellungen oder Ordnungswidrigkeiten für Misgendering und Deadnaming jenseits des Offenbarungsverbots

Das Selbstbestimmungsgesetz verfolgt im Wesentlichen zwei Ziele: Namens- und Personenstandsänderung für nicht-binäre, trans und inter Personen einheitlich über einen einfachen Antrag im Standesamt regeln und notwendigen Schutz und Absicherung für diese Personengruppe. Neben dem strafbewährten Offenbarungsverbot und dem Rechtsanspruch, Dokumente neu austegestellt zu bekommen fehlt hier ein konkretes Verbot von Misgendering und Deadnaming.

9. “Dieses andere Gesetz gilt weiterhin unverändert”

Für das Hausrecht, Strafvollzug und Sport gibt es eigene Paragraphen in denen ausführlich steht, dass das SBGG sie nicht regelt. Aber wenn etwas nicht geregelt und nicht mal tangentiell berührt wird, müsste es eigentlich auch nicht im Gesetz stehen.

10. Ich dachte, Altersgrenzen hätten wir schon TSG weggeklagt

Die ersten erfolgreichen Verfassungsbeschwerden gegen das TSG haben Altersgrenzen – weil sie verfassungswidrig waren – aufgehoben, § 45b hatte nie welche. Das SBGG kommt nun mit Altersgrenzen:

Eine beschränkt geschäftsfähige minderjährige Person, die das 14. Lebensjahr vollendet hat, kann die Erklärungen zur Änderung des Geschlechtseintrags und der Vornamen (§ 2) nur selbst abgeben, bedarf hierzu jedoch der Zustimmung ihres gesetzlichen Vertreters. Stimmt der gesetzliche Vertreter nicht zu, so ersetzt das Familiengericht die Zustimmung, wenn die Änderung des Geschlechtseintrags und der Vornamen dem Kindeswohl nicht widerspricht.

Das ist halt irgendwo entmündigend. Gab es vorher in der Welt von TSG und § 45b noch das Argument, dass Gutachten oder Atteste aufgrund der Expertise der ausstellenden Personen gegebenenfalls einen Sachgrund zur Ablehnung liefern könnten, können Eltern das jetzt ohne jede Ahnung und Plan, womit sie in gefährliche Machtposition gelangen und die eigentlich Antragsstellenden entmündigt werden.

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