
Stellungnahme zum Entwurf für das SBGG
Im Rahmen der Verbändeanhörung zum Referenten-Entwurf für das Selbstbestimmungsgesetz haben auch wir eine Stellungnahme eingereicht. Diese veröffentlichen wir auch hier im Blog:
Der Queer Lexikon e.V. ist seit 2019 ein eingetragener gemeinnütziger Verein mit Sitz in Freiburg. Der Verein arbeitet online in der Aufklärung vor allem von jungen Menschen über die Vielfalt sexueller Orientierungen und Geschlechter, Safer-Sex-Praktiken, Feminismus und Antidiskriminierung. Diese Ziele werden vor allem durch das Angebot eines Online-Glossars zu queeren Begriffen; einem anonymen Kummerkasten online für thematische Fragen; einem moderiertem Chat für queere Jugendliche; einer Übersichtskarte über queere Jugendgruppen im deutschsprachigen Raum; einem Blog, das aktuelle queere und feministische Diskussionen aufgreift, einordnet und kommentiert; und gedruckten Informations-Broschüren, die Beratungsstellen, Schulen und andere Orte, an denen mit Jugendlichen gearbeitet wird, kostenlos bestellen zu können verfolgt und erreicht.
Durch unsere dezentrale Arbeitsweise online, können wir auch ohne eine Verbandsstruktur mit verschiedenen regionalen Untergliederungen Klima und Diskussionen in der Fläche verfolgen und einordnen. Im Verein aktiv sind Personen, die seit Jahren in queeren Beratung tätig sind, Personen mit höheren akademischen Abschlüssen in Gender Studies und Soziologie und nicht zuletzt eine Menge queere Personen. Daher sind wir als Verein befähigt, fundiert und begründet hier Stellung zu nehmen.
Das sogenannte Transsexuellengesetz gilt schon lange als reformbedürftig. Zusätzlich kam mit dem §45b im Personenstandsgesetz eine weitere Möglichkeit zur Personenstandsänderung hinzu, die durch verschiedene Voraussetzungen und Rechtsfolgen den Bereich insgesamt unübersichtlicher gestalten.
Insofern ist es ausdrücklich zu begrüßen, dass eine Neuregelung bereits als Teil des Koalitionsvertrags vereinbart wurde und dass nun auch ein Entwurf für der Verbändeanhörung vorgelegt wurde.
Der Queer Lexikon e.V. begrüßt ausdrücklich auch geplante Vereinfachungen und Verbesserungen für trans, inter und nicht-binäre Personen, die im Gesetzentwurf angedacht sind. Es ist lange überfällig, die Verfahren zum Personenstand einheitlich ans Standesamt zu holen, es ist lange überfällig, die medizinisch und psychologisch nicht begründbaren Begutachtungen wegfallen zu lassen. Ein Ausbau und eine Strafbewehrung des Offenbarungsverbots ist ebenso zu begrüßen wie die Anpassung des Passgesetzes.
An einigen Stellen muss der Entwurf aber verbessert werden. Eine Wartezeit von 3 Monaten ist zu lang und sollte verkürzt oder noch besser gestrichen werden. Wie das TSG sieht der Entwurf auch noch zu viele Ausnahmen im Offenbarungsverbot vor, etwa für ehemalige Partner*innen. Zudem ist der Verweis auf die Gültigkeit des Hausrechts im Gesetz unnötig, zumal in der Begründung ausgeführt wird, dass sich an den Regeln zum Hausrecht und seiner Begrenzung etwa durch den Diskriminierungsschutz aufgrund des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) nichts ändert. Der Verweis auf das Hausrecht im Gesetz löst bei den Betroffenen massive Ängste vor neuen Ausschlüssen aus, gerade angesichts transfeindlicher Entwicklungen überall auf der Welt. Wenn Teile des Gesetzentwurfs Angst bei denen auslöst, die er schützen soll, dann müssen sie verändert werden.
Kommentar zu einzelnen geplanten Regelungen
Hier folgt eine detaillierte Betrachtung einzelner zentraler Aspekte des vorgelegten Entwurfs.
Abgabe der Erklärung
Paragraph 2 im zu schaffenden Gesetz über die Selbstbestimmung in Bezug auf den Geschlechtseintrag regelt das Verfahren für trans, inter und nicht-binäre Personen, wie zukünftig im Standesamt Erklärung zu Änderung von Geschlechtseintrag und Vornamen abgegeben werden.
Absolut notwendig und daher richtig ist der Verzicht auf Atteste oder Gutachten. Identität ist und bleibt Kernbereich höchstpersönlicher Lebensführung, darf und muss sich daher auch staatlicher Kontrolle weitgehend entziehen können.
Die gewählte Formulierung zur Voraussetzung “Person, deren Geschlechtsidentität von ihrem Geschlechtseintrag im Personenstandsregister abweicht” wirkt dagegen etwas unklar, das beginnt damit, dass “divers” als möglicher Eintrag semantisch schon ein Sammelbegriff ist, wohingegen Geschlechtsidentitäten bei einzelnen Personen in der Regel nicht gesammelt sind. Auch für nicht-binäre Personen oder beispielsweise Demifrauen wäre unter dieser Formulierung zwar klar, dass jeder der vier aktuell vorgesehenen Einträge damit nicht übereinstimmt, womit der Zugang zur Änderung über das SBGG immerhin gewährleistet ist. Dennoch sind die Geschlechtseinträge und Geschlechtsidentitäten etwas prinzipiell verschiedenes und “abweichen” damit hier also rein semantisch in der Bedeutung nicht unbedingt schlüssig.
Vornamensänderung
Paragraph 2 (4) eröffnet das Verfahren auch, um lediglich Vornamen zu ändern. Durch die Möglichkeit zur Vornamensänderung im Namensänderungsgesetz und die Verhinderung von widersprüchlichen Einschränkungen oder einfacherem Zugang über das Sondergesetz werden Sachverhalte hier schnell komplex. So kann bei einer Rücknahme immer nur auf den bisherigen Vornamen zurückgewechselt werden und auch die Möglichkeiten, wie Vornamen geändert werden können, sind nicht vollständig frei, die Begründung zeigt die in verschiedenen Abwägung von über einer Seite auf. Um diese teilweise willkürlich und beliebig wirkenden Einschränkungen zu überwinden, wäre eine umfassende Liberalisierung des Namensänderungsgesetzes zusätzlich notwendig. Und während das weit über den Rahmen des SBGG hinausginge, wäre eine solche Reform durchaus sinnig, gerade um den Eindruck von Willkür besser ausschließen zu können, da es ohnehin nicht sehr einsichtig erscheint, wieso eine Vornamensänderung an Voraussetzungen geknüpft werden sollte, wenn ein Vorname keinerlei Rechtsfolgen hat, während der vorliegende Entwurf ermöglicht, den Geschlechtseintrag frei von externen Voraussetzungen zu ändern, während an diesem derzeit noch Rechtsfolgen aufgehängt sein können.
Bedenkzeit
Paragraph 4 regelt das verzögerte In-Kraft-Treten der durch die Erklärung nach Paragraph 2 begründeten Änderungen. Während einige europäische Staaten wie Belgien oder Luxemburg ähnliche Fristen dafür voraussetzen, nutzen die meisten Staaten mit einem modernen Personenstandsrecht in Bezug auf dem Geschlechtseintrag dieses Instrument nicht.
Auch sonst sind entsprechende Fristen unüblich. Egal welche alltäglichen Amtsgeschäfte betroffen sind, ein Konstrukt, das die Ernsthaftigkeit eines Antrags dadurch abzusichern versucht, eine Wartezeit zu erzwingen, erscheint überall abwegig und wird nicht genutzt. Egal ob Anmeldung eines KFZ, Heirat, Geburt, … überall wird die Ernsthaftigkeit bewusst angenommen. Hier speziell bei marginalisierten Gruppen von inter, trans und nicht-binären Personen davon abzuweichen, wirkt sachlich nicht begründbar.
Mehr noch: In Staaten, die keine solche Bedenkfrist vorsehen, ist kein entsprechender Missbrauch bekannt. Wenn der Gesetzgeber davon ausginge, dass das hier anders wäre, müsste er das begründen.
Wenn diese Wartefrist für alle, die eine entsprechende Erklärung ablegen, gelten soll, dann stellt diese Regelung intergeschlechtliche Personen effektiv schlechter – der bisherige §45b im Personenstandsgesetz kommt ohne diese Frist aus. Änderungen gelten unverzüglich, treten sofort in Kraft. Nach der Änderung kämen hier drei Monate hinzu, obwohl aus der Praxis des Verfahrens gar keine missbräuchlichen Fälle bekannt sind.
Eine Wartefrist hingehen, die nur für trans und nicht-binäre Personen, die eine Erklärung abgeben, nicht aber für inter Personen gilt, ließe sich noch weniger begründen und wäre offen disrkiminierend.
Auch die Verfahren nach Transsexuellengesetz kennen eine solche Wartefrist nicht. Dauern aber, aufgrund von Terminabstimmungen und Kapazitäten bei Begutachtenden genauso wie bei den Gerichten selbst, häufig länger als diese drei Monate. Somit wären Verfahren nach SBGG in der Regel für trans Personen trotzdem verkürzt, trotzdem fällt es auch hier schwer, eine sachliche Begründung der Notwendigkeit dieser Wartefrist zu finden.
Nach unserer Ansicht würde es den Entwurf insgesamt verbessern, wenn der Paragraph 4 “Wirksamkeit; Rücknahme der Erklärung” und die Bezüge auf diesen schlicht komplett entfielen.
Sperrfrist
Paragraph 5 im Entwurf legt eine Frist von einem Jahr für eine erneute Änderung fest.
Das ist wiederum eine Schlechterstellung gegenüber der bisherigen Rechtslage, sowohl für die Verfahren gemäß §45b Personenstandsgesetz als auch für die Verfahren nach Transsexuellengesetz, die beide keine entsprechenden Fristen vorsehen.
Rein praktisch besteht immer bereits eine Frist vor neuen Änderungen, da Änderungen immer erst in den entsprechenden Registern ankommen müssen, von dort aus kommuniziert werden, sodass auf amtlicher Seite alles aktualisiert werden kann. Obendrauf kommen hier noch die reinen Produktionszeiten von Personalausweisen oder Reisepässen. Hier besteht also schon eine rein praktische Frist, bevor eine erneute Änderung logisch möglich wäre. Insofern wären rein praktisch schon häufige Änderungen ausgeschlossen.
Es erscheint schon nicht schlüssig, wieso ein Gesetzentwurf, der “die Selbstbestimmung der betroffenen Personen” stärken soll, hier ebendiese Selbstbestimmung unmittelbar und weiter über faktisch-praktische Notwendigkeit hinaus erschweren sollte.
Der betreffende Paragraph regelt in (2) auch noch die Rückänderung von Vornamen, die hier bereits zuvor diskutiert wurden.
Weiterhin ist eine Ausnahmeregelung für minderjährige Personen vorgesehen, die auch vor Ablauf eines Jahres eine erneute Erklärung abgeben können sollen. Während das unter der Begründung “Sie sollen nicht an ihrer eigenen Entscheidung festgehalten werden, wenn sie sich zum Beispiel im sozialen Umfeld mit für sie unangenehmen Konsequenzen der Änderung konfrontiert sehen” ein durchaus nachvollziehbarer Gedanke ist, unterstellt das, dass volljährige Personen nie in einer entsprechend misslichen Lage landen könnten, nachdem sie eine Erklärung nach dem neu gefassten SBGG abgegeben haben. Es erscheint nicht schlüssig, wieso bestimmten Personengruppen hier eine Rücknahme erleichtert werden soll, wenn die angeführten Gründe auch für andere Personengruppen durchaus zutreffen können. Ein Wegfall der Sperrfrist würde diese Möglichkeit allen Personen offenhalten.
Der Verzicht auch auf diese Sperrfrist für erneute Änderung und eine Anpassung des Namensrechts und damit letztlich der Wegfall auch des Paragraph 5 im Entwurf wäre daher ebenfalls zu begrüßen.
Erklärung durch Minderjährige
Der dritte Paragraph des vorliegenden Entwurfs regelt das Antragsverfahren für minderjährige Personen. Für Personen zwischen 14 und 18 Jahren ist ein Antrag möglich, wenn der gesetzliche Vertreter oder stattdessen das Familiengericht zustimmt. Für Personen unter 14 Jahren muss der Antrag durch gesetzliche Vertreter gestellt werden.
Im Vergleich hierzu hat §45b Personenstandsgesetz nie eine Altersgrenze beinhaltet und die im Transsexuellengesetz vorgesehenen Altersgrenzen wurden durch das Verfassungsgericht aufgehoben.
Es ist unverständlich, wie die eigene Identität, die selbst höchstrichterlich auch in Bezug auf das eigene Geschlecht immer wieder in den Kernbereich der intimsten Lebensführung und weitestgehend von staatlicher Kontrolle entzogen, erklärt wurde, hier in einem Entwurf, der die Selbstbestimmung Betroffener stärken soll, hinter der Einverständnis von Erziehungsberechtigten oder Gerichten zurückstehen kann.
Ein solches Verfahren würde, wenn auch nicht formal, aber dennoch in der empfundenen Praxis, bedeuten, gegen die eigenen Eltern klagen zu müssen, während ein Abhängigkeitsverhältnis auf sehr vielen Ebenen besteht. Hinzukommt, dass minderjährige Personen häufig in keinster Weise dazu ausgerüstet wären, überhaupt ein entsprechendes Verfahren anzustoßen.
Es reicht aus unserer Perspektive also gerade nicht aus, um die Rechte minderjähriger Personen in Bezug auf ihr Geschlecht und Geschlechtsidentität zu wahren, hier im Falle einer Ablehnung durch Sorgeberechtigte auf eine ersatzweise Zustimmung des Familiengerichts zu verweisen. Das Verfahren müsste von vornherein zugänglicher sein und sollte Unbeteiligten, die keinen Einfluss auf Geschlecht und Identität der Antragsstellenden haben und haben können, erst recht keine Mitsprache oder Einmischung ermöglichen.
Der Verzicht auf diese gesonderten Regelungen zur Antragstellung für Minderjährige und damit der Wegfall des Paragraphen 3 “Erklärungen von Minderjährigen und Personen mit Betreuer” wäre aus unserer Sicht ebenso geboten.
Offenbarungsverbot
Das Offenbarungsverbot aus §13 schafft leider keinen wirksamen Schutz für Menschen, die ihren Geschlechtseintrag und/oder Vornamen geändert haben. So ist nur die tatsächliche Offenbarung verboten, wie die Begründung ausführt, ist eine Offenbarung gegenüber Dritten, welche den alten Geschlechtseintrag bzw. Vornamen kennen, nicht möglich. Dadurch reicht es aus, wenn die alten Vornamen und Geschlechtseinträge einmal von Dritten veröffentlicht wurden, um diese, auch in schädigender Absicht, im gleichen Personenkreis erlaubterweise verwenden zu können.
(2) sieht darüber hinaus Ausnahmen vom Offenbarungsverbot für Kinder und Ehepartner*innen vor. In der Begründung wird dazu ausgeführt, dass diese ein schutzwürdiges Interesse an der Nennung alter Geschlechtseinträge und Vornamen hätten, da diese Teil der eigenen Lebensgeschichte seien. Diese Ausnahmen vom Offenbarungsverbot finden wir aus zweierlei Gründen bedenklich: Zunächst ermöglicht diese Ausnahme die Offenbarung der alten Daten einem großen Personenkreis. Insbesondere im Zusammenhang mit den Bußgeldvorschriften stellt sich uns aber die Frage, welche Interessen damit tatsächlich geschützt werden. So sehen die Bußgeldvorschriften vor, dass nur Offenbarungen, welche die betroffene Person absichtlich schädigen, strafbewehrt sind. Wenn nun alle Offenbarungen, die keinen Schaden intendieren, sowieso straffrei sind, schützen diese Ausnahmen nur absichtlich schädigende Offenbarungen, die von dem genannten Personenkreis getätigt werden.
Ein Offenbarungsverbot, welches trans*, inter und nicht-binäre Menschen wirksam schützen soll, muss auch die Erwähnung des alten Geschlechtseintrags und Vornamens, sofern dies in schädigender Absicht geschieht, unterbinden.
Bußgeldvorschriften
Die vorgesehenen Bußgeldvorschriften für Verstöße gegen das Offenbarungsverbot sind ein richtiger Schritt, um trans, inter und nicht-binäre Personen vor für sie spezifische Diskriminierung und Schlechterbehandlung zu schützen.
Die in Paragraph 10 vorgesehene Änderungspflicht für Register und Dokumente nach Inkrafttreten einer Änderung über das SBGG ist explizit in den Bußgeldvorschriften nicht miteinbezogen. Eine vereinfachte rechtliche Handhabe gegen ausstellende Stellen von Dokumenten, die sich weigern, diese korrigiert auszustellen, fehlt hier. Wäre sie mit vorgesehen, würde eine Dringlichkeit und Wichtigkeit der entsprechenden Neuaustellungen damit zusätzlich betont. Eine entsprechende Ergänzung der Ordnungswidrigkeiten scheint also angezeigt.
Weiterhin sind die Voraussetzungen, die der Paragraph 13 bisher formuliert, nachteilig für betroffene Personen. (1) setzt die voraus, dass die Offenbarung “absichtlich” schädigt. Hierin liegt eine sehr große Beweislast: Wie soll ein Nachweis geführt werden, der zweifelsfrei diese absichtliche Schädigung aufzeigt? Zusammen mit den Ausführungen in der Begründung, wann es sich überhaupt um Offenbarungen handeln kann, wirkt es abwegig, dass diese Bußgeldvorschriften in ihrer bestehenden Fassung jemals Anwendung finden. Damit vermögen sie trans, inter und nicht-binäre Personen nicht zu schützen.
Gegenstandslose Paragraphen
Einige Paragraphen im vorliegenden Entwurf scheinen einerseits keine Wirkung zu entfalten, andererseits in ihrer Begründung und durch ihr Vorhandensein wecken sie gleichzeitig bestimmte Begehrlichkeiten.
Paragraph 6 “Wirkungen der Änderung des Geschlechtseintrags und der Vornamen” legt in (1) fest, dass der aktuelle Geschlechtseintrag im Personenstandsregister maßgeblich im Rechtsverkehr ist. Insofern der Staat ein Personenstandsregister führt, wäre alles andere im Regelfall verwunderlich. Allein die Ausformulierung im Entwurf überhöht gleichzeitig die entsprechenden Register. Durch die immer entstehende Verzögerung zwischen eigenem Coming Out einer Person und der tatsächlichen Änderung der Register entsteht hier eine Zeit, in der die Register veraltet und unrichtig sind. Mit der expliziten Betonung der Maßgeblichkeit der Register wird mindestens impliziert, dass die tatsächliche Identität der Person für den Staat hinter den Registern zurückstehen muss. Das wirkt nicht im Interesse eines Gesetzes zur Stärkung der Selbstbestimmung. Zumal hier inhaltlich nichts Neues eingeführt wird, stellt sich hier die Frage, was die explizite Nennung im Entwurf überhaupt bezweckt.
In (2) bis (4) wird jeweils für Hausrecht, Bewertung sportlicher Leistung und medizinische Maßnahmen festgelegt, dass der aktuelle Geschlechtseintrag nicht maßgeblich sein muss. Das ist bereits jetzt der Fall, die Erwähnung hier suggeriert jedoch, dass die Identität einer Person im Zweifel schlicht übergangen werden kann und soll. Dadurch, dass die Nennungen hier am bestehenden Recht nichts inhaltlich verändern, stellt sich auch hier die Frage, was die Nennung überhaupt bezwecken soll.
Ähnliche Überlegungen gelten für den Paragraph 7 zu Quotenregelungen. Der schlägt ein paar Standards vor, die Gremien oder Organe durch eigene Satzungen aber auch anders regeln können. Die Regelungen betreffen unmittelbar nicht das Kern-Anliegen des Gesetzes, wie Änderung von Geschlechtseintrag und Vornamen zukünftig geregelt sein sollen und legen auch keine bindenden grundlegend neuen Verfahren fest. Erneut stellt sich die Frage, was das Vorhandensein des Paragraphen im Entwurf denn bezweckt.
Ebenfalls verweist der Paragraph 11 darauf, dass die Paragraphen des Bürgerlichen Gesetzbuch, die Regeln wer Mutter und Vater im Sinne des Gesetzes ist und das Rechtsverhältnis zwischen Person und angenommenen Kindern unberührt bleiben. Erneut wird hier also ohne Not benannt, dass Dinge bleiben, wie sie sind, obgleich der vorliegende Entwurf auch nicht den Anschein aufkommen lässt, dass sich hier etwas ändern könnte, was diese Klarstellung notwendig macht.
Verteidigungsfall
Paragraph 9 im Entwurf stellt Personen, die ihren Eintrag von männlich weg zu weiblich oder divers ändern beziehungsweise streichen lassen, schlechter gegenüber Personen mit jedem anderen Eintrag für jede andere Änderung, falls es zu einem Spannungs- oder Verteidigungsfall kommt.
Das würde einerseits dafür sorgen, dass in einem zeitlich länger andauernden Verteidigungsfall eine sehr große Gruppe Menschen von der Änderung ihres Geschlechtseintrags ausgeschlossen wäre, obwohl ihnen die grundrechtlich zusteht. Andererseits wirkt sich die Regelung aber auch rückwirkend zwei Monate vor dem Antreten des Spannungs- oder Verteidigungsfalls aus. Würde man also argumentieren, dass Änderungen innerhalb eines Verteidigungsfalls grundsätzlich dem Verdacht nicht entkämen, schlicht die Verhinderung der Einziehung zu ermöglichen, so ließe sich dieses Argument nicht für die rückwirkende nicht-Neuzuordnung ausweiten, da im Vorfeld ja nicht bekannt ist oder sein muss, dass ein solcher Fall überhaupt eintritt.
Vielmehr zeigt diese Regelung auf, dass es eigentlich Reformbedarf in den Regelungen zur Dienstpflicht gäbe, um beispielsweise Menschen unabhängig vom Geschlecht verpflichten zu können oder den ganzen Komplex für Verteidigungs- und Spannungsfälle grundsätzlich anders zu regeln.
Gleichzeitig sind Änderungen im Personenstand bewusst und richtigerweise unabhängig von anderen Transitionsmaßnahmen. Die vorgeschlagene Regelungen könnte für Personen, die seit Jahren in Hormontherapie sind und auch chirurgische geschlechtsbestätigende Operationen haben vornehmen lassen, verpflichtet werden, obwohl für niemanden und zu keinem Zeitpunkt von außen erkennbar wäre, dass es sich um eine, nach amtlichen Registern, männliche Person handelt. Hier würde der Staat also Einzelheiten der grundrechtlich besonders geschützten Identität der betroffenen Personen offenbaren – und diese somit auch potenziellen Diskriminierungen aussetzen.
Um Personen vor solchen ungewollten Offenbarungen und der Willkür der Rückwirksamkeit zu schützen, kann dieser Paragraph so nicht in Kraft treten.
Übergangsvorschriften
Da der Gesetzentwurf das Ziel hat, die Änderungen des Personenstands und des Vornamens aus dem TSG und dem bisherigen §45b PstG zu ersetzen, wird in Paragraph 15 des Entwurfes festgelegt, welche Auswirkungen der Gesetzentwurf auf Menschen hat, die bereits eine Änderung mit den bisherigen Mitteln erwirkt haben. Der Entwurf des Gesetzes und die Begründung zu dem Entwurf nennen hier allerdings unterschiedliche Paragraphen. So wären im aktuellen Entwurf Menschen, die bereits eine Personenstands oder Vornamensänderung über das TSG vollzogen haben nicht durch das Offenbarungsverbot geschützt.
Abstammungsrecht Gebär- und Zeugungsfähigkeit
Mit den Regelungen zum Abstammungsrecht im vorliegenden Entwurf hat sich der Verfassungsblog ausführlich befasst. Wir stimmen der Analyse und Folgerungen aus https://verfassungsblog.de/pferd-auf-dem-flur/ vollständig zu, sehen und bekräftigen die geäußerte Kritik und die Notwendigkeit von Verbesserungen am Entwurf.
Intergeschlechtliche Perspektive
Während des Queer Lexikon insbesondere auch aus der erlebten Perspektive von trans und nicht-binären Personen spricht und sprechen kann, möchten wir hier ausdrücklich auch die Perspektive von intergeschlechtlichen Personen in den Mittelpunkt stellen. Erwägungen zum vorliegenden Entwurf hat zum Beispiel der Bundesverband intergeschlechtliche Menschen bereits zu einer eigenen Stellungnahme zusammengefasst, der wir uns inhaltlich und in Kritik am bestehenden Entwurf vollumfänglich anschließen wollen: https://im-ev.de/selbstbestimmungsgesetz/
Offene Punkte
Selbst wenn der vorliegende Entwurf seine Ziele vollumfänglich erreicht, bleibt noch mehr im Schutz von trans, inter und nicht-binären Menschen vor Diskriminierung und Benachteiligung und zur Stärkung ihrer Selbstbestimmung für den Gesetzgeber zu tun.
Als Staat, in dem Zuwanderung eine gelebte Realität ist, leben bei uns Personen mit geschlechtsspezifischen Nachnamen. Eine reine Vornamensänderung reicht hier also nicht aus, sondern Nachnamen müssen im Zweifel ebenso mit angepasst werden, um ein dauerhaftes ungewolltes Outen der betreffenden Personen zu vermeiden. Eine entsprechende Regelung könnte in diesem Entwurf noch Platz finden oder zeitnah in einer umfassenden Liberalisierung des Namensrechts unterkommen.
Der vorliegende Gesetzentwurf klammert medizinische Belange bewusst aus. Hier besteht jedoch Regelungsbedarf und wir freuen uns hier bald aus den verantwortlichen Ministerien ebenso einen Referent*innenentwurf zu bekommen.
Um die Diskriminierung gegenüber trans, inter und nicht-binäre Personen nachhaltig abzubauen, brauch es Bildungs- und Beratungsangebote. Ein Recht auf Beratung für Betroffene wäre hier eine gute Grundlage. So könnten alters- und zielgruppenspezifische Informationsmaterialien zusammen mit oder von Interessensvertretungen und Beratungseinrichtungen erarbeitet werden, dass alle Personen sich zu Fragen von Geschlechtsidentität, diskriminierungsfreiem Umgang und auch Transitionsmaßnahmen anonym und wohnortnah beraten lassen können.
Sowohl in der Geschichte des Transsexuellengesetzes als auch im Umgang mit intergeschlechtlichen Personen wurde auch in der Bundesrepublik eine Menge Unrecht begangen und Leid verursacht. Die weggefallenen Teile des Transsexuellengesetzes einerseits, die immer noch nicht vollständig überwundene Praxis medizinisch nicht notwendiger genitalverändernder Operationen bei neugeborenen, sichtbar intergeschlechtlichen Kindern sprechen hier eine sehr eindeutige Sprache. Daraus erwachsen für den Gesetzgeber zwei offene Punkte: Erstens Sorge tragen, dass diese Unrechte in Zukunft sicher verhindert werden, zweitens Entschuldigen und Entschädigen.
Fazit
Es ist gut, dass nun ein Entwurf vorliegt. Es ist ebenso gut, dass die Verschiedenbehandlung von inter und trans Personen hier beendet und nicht-binäre Personen endlich mitgedacht werden sollen.
Der vorliegende Entwurf verzichtet bewusst auf Regelung medizinischer Aspekte – dies muss an anderer Stelle noch geschehen.
Im Entwurf selbst gibt es einige im Wesentlichen bedeutungsleere Passagen. So wäre der Entwurf auch ohne die Paragraphen 6, 7 und 11 inhaltlich gleichbedeutend. Hier fehlt entweder eine Klarstellung oder die genannten Paragraphen können insgesamt wegfallen.
Das Offenbarungsverbot ist durch seine weitreichenden Ausnahmen und die Definition des Begriffs der Offenbarung weitgehend ausgehöhlt, so dass auch die Bußgeldbewährung die angedachte Regelung nicht zu einer faktischen Verbesserung für trans, inter und nicht-binäre Personen werden lässt. Hier besteht Änderungsbedarf.
Paragraphen 4 und 5 erlegen willkürliche Fristen auf, die es so in Staaten mit vergleichbaren Gesetzen seltenst nur gibt und für die aus Staaten, die auf diese Fristen verzichten, auch keine Probleme bekannt sind. Gerade die 3-monatige Bedenkfrist würde inter Personen schlechter gegenüber der aktuellen Regelung im Personenstandsgesetz stellen. Im Interesse der Selbstbestimmung könnten beide auch in der endgültigen Fassung entfallen, ohne den Wesensgehalt des Gesetzes anzutasten.
Die Einschränkungen für Minderjährige stehen dem Gedanken, dass Geschlechtsidentität höchstpersönlich ist, entgegen, da sie anderen Personen das Veranlassen einer Änderung ermöglichen würde. Eine selbstbestimmtere Regelung wäre auch hier möglich und angezeigt.
Es bleibt auch verwunderlich, wieso bei der Erarbeitung des Entwurfs nicht auf Expertise beispielsweise aus der Interministeriellen Arbeitsgruppe “Inter- und Transsexualität” zurückgegriffen wurde.
Insgesamt sollte der Entwurf, um seinem eigenen Anspruch und der namensgebenden Selbstbestimmung gerecht zu werden, noch deutlich angepasst werden.