
Neues Urteil zum Personenstandsgesetz vom Bundesgerichtshof
Es ist jetzt etwa einen Monat her, dass der Bundesgerichtshof eine Entscheidung zum Personenstandsgesetz gefällt hat. Wir sind hier kein Blog, das Rechtssprechung und Gerichtsbarkeit in Deutschland begleitet. Niemand von uns hat eine juristische Ausbildung oder andere formale Qualifikation, die das hantieren mit Gerichten, Urteilen und Gesetzen beinhaltet. Unabhängig davon können wir Gesetze und Urteile, die uns betreffen, lesen und nachvollziehen. Und genau darum soll es hier gehen.
Worum ging es eigentlich? Das Verfahren
Das Urteil des Bundesgerichtshof um das es hier gehen soll trägt das Aktenzeichen XII ZB 383/19 und wurde am 22. April 2020 gesprochen. Das Urteil hebt einen Beschluss auf, den zuvor das Oberlandesgericht in Düsseldorf erlassen hat, nachdem eine Klage vor dem Amtsgericht in Wuppertal zunächst gescheitert war. Diese Sache ging also wortwörtlich durch die Instanzen.
Worum ging es? Eine Person, die kein Geschlecht hat, aber bei Geburt weiblich zugewiesen wurde, hat beantragt, ihren Geschlechtseintrag aus ihrer Geburtsurkunde streichen zu lassen.
Das Standesamt hatte den Antrag dem Amtsgericht Wuppertal zur Entscheidung vorgelegt, da es das Geburtenregister in einem solchen Fall nur auf gerichtliche Anordnung hin ändern darf. Vom Amtsgericht wurde die Änderung aber abgelehnt. Das Oberlandesgericht in Düsseldorf hat dann allerdings die Entscheidung des Amtsgerichtes aufgehoben und das Standesamt angewiesen den Eintrag wie beantragt zu streichen. Und dann wäre eigentlich alles gut gewesen.
Wäre gut gewesen, wenn der Staat es dabei belassen hatte und das Verfahren nicht zur nächsten Instanz, dem Bundesgerichtshof weitergetragen hätte. Dieser hat nämlich nun die Anweisung des Oberlandesgerichts wiederum aufgehoben.
Was wurde beschlossen? Das Urteil
Der Beschluss besteht aus vier sehr knappen Sätzen und der Festsetzung des Verfahrenswertes.
Auf die Rechtsbeschwerde des weiteren Beteiligten zu 2 wird der Beschluss des 25. Zivilsenats des Oberlandesgericht Düsseldorf vom 11. Juli 2019 aufgehoben.
Die Beschwerde der antragsstellenden Person gegen den Beschluss des Amtsgerichts Wuppertal vom 23. August 2017 wird zurückgewiesen.
Die Kosten der Rechtsmittelverfahren werden der antragsstellenden Person auferlegt.
Wert: 5000 €
Beschluss des Bundesgerichtshof, Aktenzeichen XII ZB 383/19
Die 5000 Euro Streitwert sind im Verwaltungsrecht üblich, wenn sich etwas nicht finanziell beziffern lässt. Auch die Auferlegung der Kosten geschieht in der Regel an die unterlegene Partei vor Gericht. Die ersten beiden Sätze heben die Beschwerde, genauso wie den Beschluss, der das Standesamt zum Ändern gezwungen hätte, auf. Randnotiz: Das Urteil des Oberlandesgerichtes Düsseldorf, Aktenzeichen 25 Wx 76/17, ist vom 11. Juni 2019, der BGH-Beschluss hat hier also einen Tippfehler.
Warum wurde so beschlossen?
Die Begründung fußt darauf, dass allein auf der Feststellung, dass die Person weder Mann noch Frau ist, nicht hervorgeht, dass das Geburtenregister falsch sei und somit gemäß §48 Personenstandsgesetz, welches dem Gericht ermöglicht, die Änderung zu verlangen, nicht angewendet werden kann. Bis hierhin ist das für das vorliegende Verfahren schlüssig. Es gibt keinen „amtlichen“ Beleg, dass das Geburtenregister falsch ist. Weder das Standesamt noch das Gericht kann das also erkennen und dann entweder selbst ändern oder die Änderung verlangen.
Aber was ist mit 45b?
45b oder korrekt Personenstandsgesetz §45b wurde erst erlassen, nachdem das Amtsgericht in diesem Verfahren die Änderung abgelehnt hat. Das heißt: eigentlich gab es das zu diesem Zeitpunkt noch nicht. Auch hier wieder: Wenn die Urteilsbegründung hier enden würde, wäre alles gut gewesen.
Der Paragraph 45b wurde eingeführt, nach dem das Bundesverfassungsgericht in einem anderen Verfahren festgestellt hat, dass es dem Grundgesetz widerspricht, dass es in Deutschland im Geburtenregister die Optionen „männlich“, „weiblich“ und kein Eintrag für das Geschlecht gibt. Es forderte entweder die Schaffung eines neuen Eintrags oder das Ende der Erfassung des Geschlechts. Die Bundesregierung entschied sich für den ersten Weg und so fügte der Bundestag nach dem Paragraph 45 einen Paragraph 45b ins Personenstandsgesetz ein:
(1) Personen mit Varianten der Geschlechtsentwicklung können gegenüber dem Standesamt erklären, dass die Angabe zu ihrem Geschlecht in einem deutschen Personenstandseintrag durch eine andere in § 22 Absatz 3 vorgesehene Bezeichnung ersetzt oder gestrichen werden soll. …
(3) Durch Vorlage einer ärztlichen Bescheinigung ist nachzuweisen, dass eine Variante der Geschlechtsentwicklung vorliegt. Dies gilt nicht für Personen, die über keine ärztliche Bescheinigung einer erfolgten medizinischen Behandlung verfügen und bei denen das Vorliegen der Variante der Geschlechtsentwicklung wegen der Behandlung nicht mehr oder nur durch eine unzumutbare Untersuchung nachgewiesen werden kann, sofern sie dies an Eides statt versichern.
Auszug aus dem Personwnstandsgesetz §45b
Der erwähnte Paragraph 22 zählt in Absatz drei die Optionen „weiblich“, „männlich“, kein Eintrag und „divers“ auf.
Könnte die Person nicht einfach jetzt einen Antrag nach §45b stellen, um ihren Geschlechtseintrag streichen zu lassen? Naja, wie gesagt, wenn der Bundesgerichtshof hier aufgehört hätte, wären Dinge ok gewesen.
Weiter in der Begründung
Der BGH klappert nun weitere Stellen im Personenstandsgesetz ab, die eventuell eine Änderung des Eintrages doch ermöglichen könnten.
Der Anwendungsbereich der §§ 45 b, 22 Abs. 3 PStG ist für den vorliegenden Fall, in dem sich die nach ihren körperlichen Merkmalen dem weiblichen Geschlecht zuzuordnende antragstellende Person weder diesem noch dem männlichen Geschlecht zugehörig fühlt, nicht eröffnet.
Beschluss des Bundesgerichtshof, Aktenzeichen XII ZB 383/19
Gericht sagt also nein. Warum sagt es hier nein? Das folgt in der Begründung: Für eine Änderung nach diesem Paragraph gilt Absatz (3) der eine entsprechende ärztliche Bescheinigung voraussetzt. Dazu sagt die Begründung Folgendes (langes Zitat, weil es der entscheidende Knackpunkt am Urteil ist):
b) Die von § 45 b PStG vorausgesetzte Variante der Geschlechtsentwicklung ist nur dann gegeben, wenn das Geschlecht nicht eindeutig anhand angeborener körperlicher Merkmale als weiblich oder männlich bestimmt werden kann. Eine lediglich empfundene Intersexualität ist hierfür nicht ausreichend.
aa) Diese Frage ist allerdings streitig. So wird mit dem Beschwerdegericht vertreten, auch ein abweichendes subjektives Geschlechtsempfinden könne eine Variante der Geschlechtsentwicklung im Sinne des § 45 b PStG begründen, weil sich aus dem Wortlaut des Gesetzes kein Anhaltspunkt dafür ergebe, wie der Begriff auszulegen sei (vgl. Bruns StAZ 2019, 97, 100; Jäschke NZFam 2019, 895, 898; dies für möglich haltend auch OLG Nürnberg FamRZ 2019, 1948, 1950). Demgegenüber ist die wohl überwiegende Anzahl der Literaturstimmen mit Blick vor allem auf die Gesetzgebungsgeschichte der Ansicht, es bedürfe für die Anwendung der Norm einer Intersexualität in körperlicher Hinsicht (vgl. Berndt-Benecke StAZ 2019, 65, 70 und NVwZ 2019, 286 f.; Er- barth FamRB 2020, 28, 30 f.; Krömer StAZ 2019, 280, 281; vgl. auch Gössl FF 2019, 298, 302; Lindenberg NZFam 2018, 1062 f.; Sieberichs FamRZ 2019, 329, 333).
bb) Die letztgenannte Auffassung ist zutreffend.
Beschluss des Bundesgerichtshof, Aktenzeichen XII ZB 383/19
Die Begründung hier ist also, dass eine Änderung nach dem Paragraph 45b nur mit Variante der Geschlechtsentwicklung geht. Das bedeutet, dass die körperlichen Merkmale einer Person nicht als weiblich oder männlich bestimmt werden können. Das Gericht gesteht dann ein, dass es Rechtsgutachten gibt, die dem widersprechen, da „Variante der Geschlechtsentwicklung“ eigentlich gar nicht ordentlich definiert ist. Der BGH benennt dann einen riesigen Stapel an Quellen, um zu sagen naja, die meisten Expert*innen sehen das anders. Der Spiegelpunkt bb) macht den redensartlichen Sack zu, in dem das Gericht sagt, naja, die Leute haben Recht.
Das bedeutet also, dass das BGH hier im wesentlichen sagt, dass mit „Variante der Geschlechtsentwicklung“ tatsächlich (bestimmte Formen der) Intergeschlechtlichkeit (hier wird aber der Begriff Intersexualität benutzt) gemeint sind. Im Umkehrschluss: Wer trans ist hat gemäß dieser Auffassung keine Variante der Geschlechtsentwicklung und kann eine Änderung mittels Paragraph 45b nicht beantragen. Das ungeschickte an dieser Auffassung ist, ist dass die Rechtssprechung des BGH gerade in einem solchen Leitsatzurteil bindend ist.
Richtig frech wird der folgende Absatz, in dem das BGH sagt, naja das ist so, weil das objektiv der Intention des Gesetzgebers entspricht und Gesetze nach ihrem Wortlaut, dem Sinnzusammenhang ausgelegt werden müssen. Der Sinnzusammenhang entsteht auch aus der Geschichte und dem Sinn und Zweck des Gesetzes und die Bundesregierung habe ihrerseits klargemacht, in welcher Absicht das Gesetz formuliert wurde. Das ist frech, weil damit jedem Gesetz Bedeutung gegeben oder genommen werden kann, wenn ein Gericht nur sagt, ach, das wird der Gesetzgeber schon gewollt haben.
Was machen wir damit jetzt? Ein Fazit
Wenn der BGH also entscheidet, das eigentlich im Gesetz stehen sollte und auf Basis dessen entscheidet, spiele ich den Ball jetzt zurück und schaue nach, was eigentlich das höchste Gericht in diesem Land, das Bundesverfassungsgericht, über Geschlecht und Varianten der Geschlechtsentwicklung zu sagen hat.
In den medizinischen und psychosozialen Wissenschaften besteht zudem weitgehend Einigkeit darüber, dass sich das Geschlecht nicht allein nach genetisch-anatomisch-chromosomalen Merkmalen bestimmen oder gar herstellen lässt, sondern von sozialen und psychischen Faktoren mitbestimmt wird (z.B. Bundesärztekammer, a.a.O., S. 5, 7; Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch, 266. Aufl. 2014, Stichwort: Geschlecht; Richter-Appelt, in: Irrsinnig weiblich – Psychische Krisen im Frauenleben, Aufl. 2016, S. 107 <116>).
Beschluss des Bundesverfassungsgerichts 1 BvR 2019/16 – sogenannt „Urteil zur dritten Option“
Jetzt hält in meinen Augen das BGH nicht mehr stand. Wichtig: Ich schaue hier aus einem rechtlichen Blickwinkel, nicht aus einem queeren oder wissenschaftlichen. Das Bundesverfassungsgericht sagt also: Naja, Geschlecht können wir nicht allein an Genen, Anatomie oder Chromosomen ermitteln oder bestimmen. Das gilt. Dann kann nicht gleichzeitig gelten, dass Geschlecht sich, wie der BGH jetzt sagt, auf körperliche Merkmale bemessen lässt.
Was ist jetzt mit Verfahren nach 45b?
Vorhersagen, die die Zukunft betreffen, sind bekanntlich besonders schwierig. Daher Vorsicht. Nur, weil ich hier etwas sage, heißt das nicht, dass es so sein wird. Wer mit einer Bescheinigung, ärztlich unterschrieben, die besagt, dass eine Variante der Geschlechtsentwicklung vorliegt, einen Antrag im Standesamt stellt, sollte weiterhin seine Namen und Geschlechtseintrag im Personenstandsregister ändern lassen können. Warum? Weil das so wortwörtlich im Gesetz steht. Insbesondere hat das Standesamt immer noch weder ein Anrecht darauf, noch die Kompetenz, zu überprüfen, ob diese Bescheinigung korrekt ist.
Was gibts sonst noch?
Naja. Alles beim alten. Die rechtliche Lage für Menschen, die trans oder inter sind in Deutschland ist mit diesem Urteil jedenfalls nicht besser geworden. Wie so häufig bleibt die Hoffnung auf das Bundesverfassungsgericht den größten Unfug aus dem Urteil für unbegründet zu erklären. Wobei ich nicht weiß, ob das Verfahren überhaupt in diese Instanz weitergetragen werden wird.
Sonst bliebt auch die Hoffnung, dass wir irgendwann mal eine Bundesregierung bekommen, die endlich mal dieses leidige Transsexuellengesetz durch was selbstbestimmtes ersetzt, das dann auch gleich 45b überflüssig macht, weil einfach alle Menschen ohne Belege, Nachweise oder Gutachten, selbstbestimmt beim Standesamt Änderungen für Namen und Personenstand beantragen können. Der Tag wird kommen.